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Immer aggressiver wird diskutiert, ob das Tragen von Burkas auch in Deutschland verboten werden soll. Die Verfechter dieser Forderung finden immer mehr inspirierende Praxisbeispiele: In Frankreich, Belgien und in einem Teil der Schweiz ist die Vollverschleierung in der Öffentlichkeit bereits verboten. Julia Klöckner, die Vize-Vorsitzende der CDU, möchte einen Burka-Bann auch in der Bundesrepublik. Denn die Verschleierung, so Klöckner, stehe für ein “abwertendes Frauenbild”.
Dieses Argument ist pauschal weder richtig noch falsch. Wer sich einem Burka-Verbot entgegenstellen will, darf es sich deshalb nicht einfach machen. Er muss zwei schwierige Fragen beantworten: Warum soll es erlaubt sein, Kleidung zu tragen, die für Werte steht, die jenen Europas entgegengesetzt sind? Und gibt es nicht tatsächlich einen Zusammenhang zwischen einer konservativen Islamauslegung und islamistischer Gewalt? Der Aufstieg des “Islamischen Staats” mit seinem Ziel, Europa in ein Kalifat einzugliedern, in dem die Scharia in ihrer rückschrittlichsten Auslegung vollstreckt wird, sowie die islamistisch motivierten Morde an Journalisten und Juden in Europa zeigen, dass es eine solche Verbindung durchaus geben kann.
Die angsterfüllte Vorstellung, beim Islam könne es sich um mehr als eine Religion handeln, nistet auch in den Köpfen der Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Im vergangenen Juli bestätigten sie das Burka-Verbot, welches das französische Parlament im Oktober 2010 beschlossen hatte. Die Richter sehen in einer Gesichtsverschleierung “eine Barriere gegenüber anderen”, die das “Konzept des ‘Zusammenlebens’ unterminieren könnte”.
Ohne einen möglichen Konnex zwischen islamischem Rigorismus und Gewalt leugnen zu wollen – eine solche Argumentation ist aus menschenrechtlicher Sicht völlig inakzeptabel. Denn hinter ihr steckt eine Abwägung zweier Güter, die sich nicht gegeneinander abwägen lassen: Grundfreiheiten und ein diffus definiertes Funktionieren der Gesellschaft.
Die Straßburger Richter haben sich, um ein grundlegendes Menschenrecht zu verweigern, auf fadenscheiniges Psychogeschwätz berufen. Sie fanden es wichtiger, eine vorgestellte “gesellschaftliche Interaktion” und einen abstrakten sozialen Frieden zu schützen, als die Freiheit zu verteidigen, seine Religionszugehörigkeit zu bekunden. Damit schaffen sie einen Präzedenzfall, mit der Bewertung als “unsozial” alles verbieten zu können, was jemand anderem nicht gefällt.